Smart Praxis, ePatient, Gesundheit 2025

Der Patient gehört ins Behandlungsteam

Die derzeitige Krankenhausfinanzierung ist an ihre Grenzen gekommen. Der Patient und seine Bedürfnisse müssen abgebildet werden, sagen Prof. Heinz Lohmann, Ehrenvorsitzender der Initiative Gesundheitswirtschaft, und Prof. Dr. Jörg F. Debatin, Chairman des hih. (Eine Kurzfassung des Textes erschien am 28. März in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.)

von Usetree

Corona hat vieles offen gelegt, was in deutschen Krankenhäusern jahrelang als Improvisationstheater getarnt, in Zeiten der Pandemie nicht mehr funktioniert. Beispielsweise die Systematik der Krankenhausfinanzierung: Das pauschalisierende Abrechnungssystem der Diagnosis Related Group (DRGs), einst als schlankes, lernendes System eingeführt, in einer Zeit, da das Krankenhaus mehr aus Administration bestand, denn nach Behandlungsqualität trachtete. Falsche Anreize, fehlende Orientierung an medizinischer Qualität, verantwortlich auch für Pflegenotstand, überhaupt Budget-bedingter Fehlsteuerung, sagen seine Kritiker nicht unberechtigt.

Doch fangen wir mit dem Erhaltenswerten an: Bei aller berechtigten Kritik hat sich die grundlegende Orientierung der DRG-Finanzierung an der Diagnose des Patienten bewährt. Nur sie gewährleistet über Transparenz eine Vergleichbarkeit von Leistung und Preis. Richtig ist allerdings auch, dass der ausschließliche Bezug des leistungsbezogenen Entgeltsystems auf Diagnose und Behandlungsaufwand nicht mehr zeitgemäß ist. Es gilt insbesondere den qualitativen Patientenbezug zu stärken. Letzteres kann geschehen, indem das Patientenwohl in Form messbarer Outcomes neben der zugrunde liegenden Diagnose zu einer zweiten Messgröße der Klassifizierung wird. Insbesondere das Therapieergebnis sowie die damit einhergehende Veränderung der Lebensqualität des Patienten sollten sich im Sinne von Value-based Medicine auf die Erstattungsbeträge auswirken. Das setzt voraus, dass sich der Behandler des bspw. Prostata-Patienten im Nachgang der OP ein Bild von deren Erfolg bezogen auch auf dessen wieder hergestellte Lebensqualität machen kann. Durch solche nachhaltigeren Verbesserungen könnten dann auch kostenintensivere, weil genauere Operationsmethoden, adäquat vergütet werden, da sie über den gesamten Behandlungsprozess weniger Folgekosten generieren.

Positive Outcome-Kriterien fehlen bislang
Doch positive Outcome-Kriterien, wie Schmerzlinderung, Steigerung der körperlichen Fitness oder Mobilität fehlen bislang. Sie könnten aber problemlos zur Vergütungsdifferenzierung genutzt werden. Voraussetzung ist lediglich die zeitnahe Erfassung am Anfang und am Ende eines Krankenhausaufenthaltes und die Weiterverfolgung bis zum tatsächlichen Behandlungsende. Zudem könnten einfache Bewertungen von Patienten, z. B. bezüglich der Qualität und Intensität pflegerischer Leistungen in der Vergütungssystematik Berücksichtigung finden. Dies würde nicht nur das Patientenwohl mehr in den Mittelpunkt stellen, sondern auch die Bedeutung der Pflege für die Reputation eines Krankenhauses deutlich stärken. Die Integration derartiger PROM (Patient Related Outcome Measures) sollte die Basis für eine Weiterentwicklung der DRGs hin zu neuen PRGs, also ‚Patient Related Groups‘ sein.

Eine PRG-basierte Finanzierungssystematik, beruhend auf Diagnose, Behandlungs-Outcomes und Patientenbewertungen würde den Patienten im Krankenhaus mit ihren wirklichen Interessen zum Maß des Handelns machen. In der Konsequenz würden Behandlungsprozesse vor allem an Patienteninteressen ausgerichtet. Dabei sollten Strukturierung und Digitalisierung der Arbeitsabläufe im Vordergrund stehen. Wenn messbare Qualität zum entscheidenden Kriterium wird, führt das vielleicht nicht zwangsläufig zum Kliniksterben, aber ganz sicher zu einer zunehmenden Spezialisierung der Krankenhäuser. Mit der können auch kleinere Häuser überleben, insbesondere wenn sie digital gut aufgestellt, vernetzt und damit nah am Patienten sind. Das leider immer noch allzu häufig anzutreffende „Improvisationstheater“ mit überforderten Akteuren, ausgestattet mit Bleistift, Papier und Radiergummi, darf es im Interesse der Patienten, aber auch der Mitarbeiter, nicht länger geben.

Wachsende medizinische Möglichkeiten einer ambulanten Versorgung
Die Schweiz macht es mit ihrem „ambulant vor stationär“- Programm vor. Was nicht nur finanziell abbildbarer wäre, wünscht sich der Patient schon lange: Die wachsenden medizinischen Möglichkeiten einer ambulanten Versorgung konsequenter nutzen zu können.

Das heißt, bestehende finanzielle Fehlanreize zugunsten einer stationären Versorgung zu überwinden. Was gleichermaßen bedeutet, dass die bisher getrennten Entgeltsysteme obsolet werden. Dies könnte erreicht werden, indem für definierte Behandlungen medizinische Therapiekosten separat von Unterbringungskosten vergütet werden. Letztere würden nur dann anfallen, wenn der Patient aus medizinischer oder pflegerischer Sicht eine stationäre Unterbringung tatsächlich benötigt. Unabhängig von ambulanter oder stationärer Versorgung, würden medizinische Therapiekosten aus dem gleichen „Topf“ finanziert. Dann steht der Patient mit seinen Interessen tatsächlich im Mittelpunkt, weil das Geld seiner medizinischen Behandlung sowie deren Outcome, und nicht der Form der Unterbringung folgt.

Stärkung der Patientensouveränität
Die Gesundheitswirtschaft ist nach wie vor ein Bereich mit starker Expertendominanz. In vielen anderen Branchen haben sich inzwischen die Konsumenten durchgesetzt. Ihre Interessen sind immer primär auf das Produkt oder im Dienstleistungssektor auf den Prozess ausgerichtet. Die Gesundheitswirtschaft zieht in diesem Punkt jetzt Schritt für Schritt nach. Der Patient wird auch Konsument. Nicht zuletzt das Internet sorgt für mehr Transparenz und stärkt damit auch die Patientensouveränität. Diese Entwicklung nimmt immer mehr Fahrt auf. Deshalb richtet sich der Blick auch hier zunehmend von der Institution auf den Prozess. Dazu gehört auch ein verstärkt an Patienteninteressen orientiertes Finanzierungssystem. PRGs wären ein mutiger Schritt nach vorn, der die Rolle der Patienten stärkt. Es ist an der Zeit, dass sie ins Behandlungsteam aufgenommen werden.

[Fotos:]
LOHMANN konzept / Bertram Solcher

Jan Pauls/ hih

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