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Die elektronische Patientenakte braucht ein Praxis-Zukunftsgesetz!

Ärzte können die Digitalisierung nur gestalten, wenn sie sich von ihren alten IT-Systemen trennen, argumentiert hih-Chef Jörg Debatin im Standpunkt des Handelsblatt Newsletter Inside Digital Health. Dafür brauche es ein Bundesgesetz.

von hih

Seit Januar dieses Jahres hat jede Bürgerin und jeder Bürger das Recht auf eine elektronische Patientenakte (ePA). Die gesetzlichen Krankenkassen (GKV) haben pünktlich die Bereitstellung organisiert. Parallel dazu haben sich niedergelassene Ärzte und Apotheker, sowie die meisten Krankenhäuser an die Telematik-Infrastruktur (TI) anschließen lassen. Zusammengenommen eine riesige Investition in die digitale Infrastruktur, als Basis für eine vernetzte und damit bessere Medizin, deren positive Wirkung unser Gesundheitswesen über Jahrzehnte prägen wird.

Zentrale Anwendung dieser digital-vernetzten Medizin ist die ePA. Für Dokumentation und Speicherung medizinischer Daten folgt sie einem Paradigmenwechsel: medizinische Daten werden patientenbezogen unter seiner Kontrolle, und damit unabhängig vom Entstehungsort gespeichert. Über mobile Endgeräte können die Daten dann von jedem berechtigtem Individuum abgerufen, analysiert oder weiterverarbeitet werden. Der potenzielle Nutzen der ePA ist riesig: Untersuchungsergebnisse gehen nicht mehr verloren. Arzt-Patienten-Interaktionen werden sicherer, effizienter und bequemer. Da Daten der Haus- und Fachärzte, Krankenhäuser und Reha-Einrichtungen sowie der Versicherten selbst in die Akte einfließen, sind sektorübergreifende, longitudinale Betrachtungen möglich. Dies allein wird die Qualität der Gesundheitsversorgung erheblich verbessern und weitere digitale Anwendungen ermöglichen.

Trotz aller Anstrengungen und dem klar erkennbaren Nutzen verläuft die Einführung der ePA jedoch schleppend. Es klemmt bei den für einen produktiven ePA Einsatz notwendigen Anpassungen der Praxisverwaltungssysteme (PVS). Die Hersteller kommen mit Entwicklung und Roll-out der vom Regulierer spät zur Verfügung gestellten Spezifikationen offenbar nicht hinterher.

Die Schwerfälligkeit liegt nicht an schlechten Ingenieuren, mangelndem Willen oder Timing, sondern vor allem an Alter und Design der PVS Produkte. Deren Software-Architektur ist deutlich in die Jahre gekommen, beruht meist auf proprietären Datenformaten und verfügt nicht über offene Schnittstellen. Bislang gab es wenig Anreize, daran etwas zu ändern. Praxissoftware wurde vor allem für Abrechnungszwecke angeschafft. Auch wenn Ärzte mit ihren PVS häufig nicht zufrieden waren, scheuten sie doch Aufwand und Kosten eines Wechsels, zumal ohne erkennbaren Zusatznutzen. Wenn der Kunde keine neuen Lösungen nachfragt, bietet der Markt sie auch nicht an. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Anpassungen dieser Systeme zur Unterstützung neuer digitaler Anwendungen, wie der ePA, wenn überhaupt, zeitaufwendig und teuer sind. Die Systeme stoßen nun sichtlich an ihre Grenzen.

Schuldige gibt es somit viele und gleichzeitig doch keine. Enttäuschte Erwartungen und mögliche Sanktionen für die Ärzteschaft heizen die Stimmung an – der Ton wird rauer. Wir wissen jedoch: durch Reibung entsteht Wärme. Diese Energie gilt es jetzt produktiv zu nutzen.

Was also tun?

Wir brauchen einen echten Digitalisierungsbeschleuniger für die IT in den Arztpraxen.  Die ambulante Versorgung will und muss sich digitaler aufstellen, vernetzt arbeiten, telemedizinisch versorgen und selbst die digitale Medizin gestalten. Dabei sollte man den Rufen nach staatlichen Lösungen widerstehen. Diese haben nur selten zu den gewünschten Ergebnissen geführt. Der notwendige Innovationssprung fordert von allen Beteiligten einen Beitrag. Er erfordert vor allem aber einen funktionierenden Wettbewerb.

Von der Industrie erwarten Arztpraxen moderne Software-Produkte, die neben der Abrechnung und Praxis-Organisation vor allem medizinische Inhalte befördern. Die Architektur muss offen, modular und zukunftssicher sein, damit Ärzte bei digitalen Innovationen auch Lösungen anderer Hersteller nutzen können. Diese neue ‚Optionalität‘ wird den Wettbewerb fördern, aber auch das Potenzial der angestammten Player zur Geltung bringen, und somit Innovationen ‚made in Germany‘ substanziell unterstützen.

Die Ärzteschaft muss sich für diese neuen Produkte begeistern. Längst haben die meisten Ärzte verstanden, dass der Einsatz digitaler Technologien die Versorgung ihrer Patienten erheblich verbessern kann. Das Beispiel der Video-Sprechstunden hat das während der Corona-Pandemie eindrücklich belegt. Niedergelassenen Ärzte wollen die digitale Transformation gestalten. Das wird aber nur möglich, wenn sie bereit sind, sich von ihren alten PVS zu trennen, und die Schmerzen ertragen, die mit jeder Software-Umstellung einhergehen.

Natürlich braucht es für den anstehenden Digitalisierungsschub die passende Finanzierung. Ein Vorbild kann das Krankenhauszukunftsgesetz (KhZG) sein. Der Staat unterstützt die Digitalisierung finanziell und definiert gleichzeitig Rahmenbedingungen, die zukünftig den ungehinderten Wettbewerb um die besten digitalen Lösungen ermöglichen. Ein Pendant dazu braucht auch die ambulante Versorgung, um innovativ zu bleiben. Für Praxen gilt dann ebenso wie für Krankenhäuser: nur eine sinnvolle und zukunftsfähige Digitalisierung wird finanziell unterstützt. Die Wirkung sollte – genauso wie bei den Krankenhäusern – vermessen werden.

Lassen Sie uns gemeinsam darüber reden, wie zukunftsfähige Praxis-IT aussehen muss und wie dies durch ein Praxis-Zukunftsgesetz beschleunigt werden kann!

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