ePatient, Gesundheit 2025

„Die Wertschätzung ist hoch, die Bezahlung zu niedrig“

Das hat es noch nie gegeben: eine Gewerkschaft nur für die Pflege. Als „einzige reine Pflegegewerkschaft“ hat sich der BochumerBund im Mai 2020 gegründet. Im Gespräch geben sich die beiden Vorsitzenden Heide Schneider (HS) und Benjamin Jäger (BJ) optimistisch und selbstbewusst. Heide Schneider arbeitet als Pflegefachfrau und Betriebsrätin in einem großen Klinikum, Benjamin Jäger ist Gesundheits- und Krankenpfleger und macht aktuell seinen Bachelor in Pflege.

von hih

Warum eine neue Gewerkschaft für die Pflege mitten in der Pandemie?
HS:
Die Vorbereitungen sind schon vor der Pandemie im Sommer 2019 gelaufen. Gegründet haben wir dann am 12. Mai 2020 am Tag der Pflegenden. Ich bin seit 30 Jahren in der Pflege tätig und hatte das Gefühl, mit der Vertretung unserer Interessen wird es immer schlechter, die Tarife sind kaum gestiegen, es wurde immer weniger Pflegepersonal eingestellt, Verträge wurden nicht verlängert. In unseren Arbeitsbedingungen hat sich kaum etwas verändert. Die Zeit war reif für eine neue Gewerkschaft.

Hat Sie die Corona-Pandemie in ihrem Schritt zusätzlich bestätigt? Was bedeutet die Krise für Sie?HS: Die Wertschätzung gegenüber dem Pflegeberuf war immer schon hoch, nur will kaum jemand Geld dafür in die Hand nehmen. Jeder weiß heute, wie wichtig gute Pflege ist und welche Leistung wir bringen. Ein Umdenken in der Politik, Pflege besser zu bezahlen, hat noch nicht stattgefunden. Die Tarifverhandlungen im letzten Jahr waren für uns enttäuschend.

BJ:  Es ist völlig unklar, wohin die Reise geht. Das Thema Pflege ist seit Jahrzehnten lediglich anlassbezogen populär. Wir setzen auf die Zeit nach der Bundestagswahl und werden mit anderen Organisationen Veränderungen ins Rollen bringen.

Gibt es den oft zitierten „Pflexit“, die Flucht aus dem Beruf?
HS: Die Flucht aus dem Beruf hat bereits vor der Pandemie zugenommen. Wenn sich nichts ändert, werden es nach Corona mehr sein. Hinzukommt: Wir wissen wenig über die tatsächliche Zahl der Beschäftigten. Weder Bund noch Länder wissen, wie viele Pflegefachkräfte arbeiten. Valide Zahlen gibt es nicht, weil die Registrierung nicht zwingend ist und Pflegekammern kaum vorhanden.

Was muss sich in der Ausbildung ändern, wird sie vernetzter und durchlässiger?
HS:
Einiges ist bereits durch die Zusammenlegung der Pflegeberufe angestoßen worden. Als Pflegefachperson kann ich in Zukunft überall arbeiten, im Krankenhaus, Pflegeheim oder der mobilen Pflege und werde nach dem gleichen Tarif bezahlt, wenn Tarifverträge vorhanden sind. Bisher werden nur 20% aller Beschäftigten in der Pflege nach Tarif bezahlt. Wir treten an, das zu ändern.

BJ: Bei der interprofessionellen Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe befinden wir uns an einem wichtigen Punkt. Die junge Generation denkt anders, weniger hierarchisch, mehr in Teams. Die Zusammenarbeit in der Pandemie hat das Teamdenken noch verstärkt. Das Herabblicken der Mediziner auf Pflegekräfte findet bei den Jüngeren kaum noch statt. Die Rollen werden neu definiert. Wir müssen Pflege optimieren und qualitativ noch oben führen.

HS: Die Jüngeren fordern mehr Wissen und Weiterbildung. Die Arbeitgeber müssen sich umstellen, um die jungen Leute zu halten. Die Jungen kennen ihren Wert und fordern ihn auch ein.

Welche Rolle spielt die Digitalisierung im Beruf, kann sie die Beschäftigten entlasten?
HS:
Digitalisierung verbessert die Abläufe. Die elektronische Patientenakte ist ein großer Fortschritt und spart Zeit, die wir für die Pflege der Menschen brauchen. Wenn wir aber auch in Zukunft alles aufschreiben und dokumentieren müssen, dann entlastet uns auch die Digitalisierung nicht. Die Dokumentationspflichten in der Pflege sind höher als in jedem anderen Beruf und sind ein Zeichen des Misstrauens gegenüber den Pflegekräften.

BJ: Digitalisierung steht und fällt mit der Praktikabilität des Systems. Von der Anamnese bis zur
Evaluation muss es stimmig sein.

Haben sich die Personaluntergrenzen bewährt?
HS:
Die Transparenz hat sich dadurch verbessert, auch wenn die Grenzen selbst wohl eher willkürlich gesetzt sind.

BJ: Wir brauchen eine Sollbesetzung: Was muss optimal gewährleistet sein, damit wir von einer qualitativ hochwertigen Pflege sprechen können. Es muss nur eine Person bei einer Personaluntergrenze ausfallen und schon haben wir eine Unterbesetzung.

Wird sich die Trennung von stationär und ambulant in Zukunft noch aufrechterhalten lassen?
HS:
Es gibt zu viele Krankenhäuser. Viele Tätigkeiten können ambulant zuhause oder ambulant in Gesundheitszentren, die nicht unbedingt von einem Arzt geführt werden müssen, erbracht werden. Das bedeutet eine Umstellung der Finanzierung und weg vom DRG-System. Wir könnten hier Geld sparen und den Menschen eine bessere Pflege geben.

BJ: Humane Pflege bedeutet in Zukunft auch ambulante Versorgung. Man könnte es kundenorientiert betrachten: Wie und wo wollen Menschen gepflegt werden?

Wo steht die Pflege im Jahr 2025?
HS: Alle Pflegefachpersonen arbeiten dann tarifgebunden mit einem guten Auskommen.

BJ: Ich ergänze um eine qualitative Weiterentwicklung in der pflegerischen Versorgung.

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