Was hat Sie bewogen, sich (ausgerechnet) in dieser Zeit für die Zukunft des Öffentlichen Gesundheitsdienstes zu bewerben?
Mich reizt daran mitzuarbeiten, das große Potenzial des Öffentlichen Gesundheitsdienstes zu heben. Denn zehn Jahre lang war ich nebenberuflich als Dozent bei der Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen tätig und konnte sehen, was d schlummert. Mit dem Pakt für den ÖGD hat die Politik im September vergangenen Jahres den Weg für eine bessere personelle und technische Ausstattung der Gesundheitsämter geebnet. Die Akademie hat die Stelle ausgeschrieben – und ich habe gerne den Schritt in den ÖGD gewagt.
Was haben Sie sich für Ihre ersten 100 Tage vorgenommen?
Zunächst einmal helfe ich der Akademie mit meinen Kommunikations- und Digitalisierungs-Kenntnissen, die akuten Aufgaben in der Pandemie zu bewältigen. Es geht zum Beispiel darum, neue eLearnings über Impfungen gegen das Coronavirus oder zu SORMAS zu erstellen bzw. zu kommunizieren. Wir produzieren derzeit zudem eine neue Website über digitale Tools für den ÖGD. Und natürlich will ich in den ersten 100 Tagen den Digitalisierungs-Bereich in der Akademie personell und organisatorisch aufgebaut haben. Da gehört für mich auch eine ganz intensive Vernetzung mit den Gesundheitsämtern dazu, denn die wollen wir in der Akademie unterstützen.
Ich stelle mir vor, dass Sie gerade jetzt, wo Sie Neues bringen sollen, erstmal Fluchtgedanken auslösen, bei denen, die sowieso schon im Job überlastet. Liegen Ihre Ziele eher in der nach-Pandemie-Zeit?
Bei meiner Arbeit orientiere ich mich an den Interessen der Zielgruppe. Die Gesundheitsämter profitieren von Hilfen, die sie aktuell benötigen, einfach einsetzbar sind und sie entlasten. Unser kostenloses eLearning zum Kontaktpersonen-Management ist ein Beispiel dafür: Es wurde schon fast 1.000 Mal heruntergeladen. Ich möchte zudem gerne rasch systematisch die Digitalisierungs-Bedarfe der Gesundheitsämter erheben und planen, wie wir als Akademie die Ämter am besten unterstützen können. Ich hoffe, dass die Pandemie bald endet – und dass das Umsetzen insofern in der Zeit danach auf meiner Agenda steht.
In den Schulen geht die Digitalisierung ebenfalls nur schleppend voran. Politiker:innen lassen sich zitieren mit den Worten: „Bis wir soweit wären, ist die Pandemie vorbei, dann brauchen wir die Digitalisierung wieder gar nicht mehr.“ Auf diesen Standpunkt könnte sich der ÖGD auch zurückziehen, oder?
Die Digitalisierung des ÖGD läuft schon seit Jahren. Und ich habe den Eindruck, dass der Stand insgesamt besser ist, als dies mitunter berichtet wird. Dies zeigen auch die Ergebnisse der Befragung, die der Deutsche Städte- und der Deutsche Landkreistag im August vergangenen Jahres präsentiert hat. Und seitdem ist zum Beispiel im Hinblick auf die Nutzung von digitalen Werkzeugen zur Kontaktpersonen-Nachverfolgung und dem Einsatz von DEMIS einiges passiert. Die Pandemie wirkt wie ein Digitalisierungs-Booster. Ich denke da an die eingesetzte Software zur Kontaktpersonen-Nachverfolgung und an Angebote wie den CovBot oder das Climedo-Symptomtagebuch, um nur zwei vom Bundesgesundheitsministerium geförderte digitale Werkzeuge zu erwähnen. Zudem gibt es weitere Tools, die rund um den Hackathon #WeVersusVirus entstanden sind. Digitalisierung ist kein Projekt, das endet, sondern ein Prozess, der immer weiterläuft. Im ÖGD gehe von einem hohen Tempo aus – auch nach der Pandemie. Denn es gibt Potenzial zur Digitalisierung und es gibt durch den Pakt für den ÖGD finanzielle Mittel. Da passiert noch ganz viel.
Wo sehen Sie die dringlichsten Handlungsfelder für sich / für die Akademie?
Wir haben als ein Handlungsfeld die Digitalisierung nach innen: Die Akademie muss ihr Kerngeschäft, die Aus-, Fort- und Weiterbildung weiter digitalisieren. In der Pandemie hat der Umstieg auf virtuelle Formate sehr gut geklappt. Aber die Herausforderungen in den nächsten fünf Jahren sind gewaltig. Denn die meisten der 5.000 Menschen, die in den kommenden fünf Jahren nach Willen der Politik zusätzlich in den ÖGD eintreten sollen, wird die Akademie als wichtigste Qualifizierungs-Institution ausbilden müssen. Schon für dieses Jahr verzeichnen wir ein Plus von 70 Prozent bei den Anmeldungen. Und das ist erst der Anfang. Wir können das nur mit zusätzlichen Expert:innen und digitalen Formaten stemmen. Diese Formate zu unterstützen ist eine meiner Hauptaufgaben – und bei Bedarf die Palette digitaler Themen auszuweiten. Ein weiteres Handlungsfeld sehe ich darin, die Digitalisierung des ÖGD zu unterstützen. Da gibt es viele Möglichkeiten: Die Information über digitale Tools, das Ermitteln von Bedarfen oder das Begleiten der Auswahl von geeigneten Tools. Last not least wird es nötig sein, im ÖGD Standards im Sinne der Interoperabilität von IT zu setzen.
Was davon halten Sie für kurzfristig schaffbar – und was würden Sie eher in ruhigeren Zeiten verorten?
Die weitere Entwicklung einheitlicher Standards ist etwas, was Zeit in Anspruch nehmen wird.
Es ist ja in den vergangenen Monaten viel passiert in der IT-Landschaft des ÖGD – die Ämter selbst haben sich scheinbar aufgeteilt in diejenigen, die mit ihren lokalen Einzellösungen zufrieden sind, andere präferieren eine-für-Alle standardisierte Lösung à la Sormas – wohin tendieren Sie aus welchen Gründen? Und haben Sie Verständnis für die Gegenposition?
Ich verstehe, dass Gesundheitsämter, die eine gut funktionierende technische Lösung etabliert haben, mitten in der Pandemie sich sehr genau überlegen, ob sie auf ein anderes System umsteigen. Aber ich sehe auch viele Vorteile auf der SORMAS-Seite. Ich bin persönlich ein großer Freund von Open-Source-Lösungen und bewundere, in welch kurzer Zeit SORMAS zu einem effektiven Werkzeug zum Pandemie-Management programmiert wurde. Der große Vorteil: Mit der entsprechenden IT-Community im Rücken kann es ständig sinnvoll erweitert werden, zum Beispiel um ein Symptomtagebuch. Ganz wichtig erscheint mir auch, dass SORMAS künftig die Möglichkeit bieten soll, Daten zwischen den Gesundheitsämtern auszutauschen. Den Umstieg auf SORMAS so einfach wie möglich zu gestalten, ist ein weiterer wichtiger Punkt. Die Akademie bietet gemeinsam mit dem Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung ein großes Onboarding-Programm unter anderem mit Schulungen, Hotlines, Videotutorials, Webseminaren und vielem mehr an, sodass ein Einstieg ganz schnell gelingt.
Welche Aufgaben sehen Sie für die Akademie darüber hinaus?
Die Akademie hat in den vergangenen Jahren immer mehr Trägerländer dazugewonnen. Mit 500 Kursen jährlich und 5.000 Teilnehmer:innen aus dem ÖGD sind wir ein ganz wichtiges Instrument zum Austausch und zur Vernetzung. Das könnte auch eine Option für einen allgemeinen, digitalen Rahmen sein.
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