Die elektronische Patientenakte soll nach fast 20 Jahren Hin und Her endlich kommen. Und damit auch die Versichertenkarte mit allen unseren wichtigen Gesundheitsdaten. Schon 2021. So hat es Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) versprochen. Der Mann, der dieses Mammutprojekt anschieben soll, ist Jörg Debatin. Er ist Chef des neuen Health Innovation Hub (hih) beim Bundesgesundheitsministerium. Mit einem zwölfköpfigen Expertenteam führt der Professor für Radiologe, zuletzt Vice-President von GE Healthcare, Ideen zusammen, schaut, wie gut bestehende IT-Anwendungen in der Praxis funktionieren, und entwickelt Lösungen, damit die unterschiedlichen Systeme gut miteinander harmonieren (Stichwort Interoperabilität).
Wir sprachen mit Jörg Debatin, wie sich durch die elektronische Patientenakte die Arbeit für Pflegekräfte verändern wird.
Warum stehen Pflegekräfte und Ärzte der Digitalisierung eigentlich so oft skeptisch gegenüber?
Jörg Debatin: Es geht bei Digitalisierungsprozessen immer darum, die Arbeitsgrundlage aller Beteiligten zu ändern – und das ist ein mühsamer Prozess. So haben wir das zumindest im UKE, im Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf erlebt (Jörg Debatin war dort bis 2011 Vorstandsvorsitzender, Anm. der Red.), als wir uns 2005 daran machten, das Klinikum zu digitalisieren und papierfrei zu machen. Die Prozesse ändern sich tatsächlich sehr grundsätzlich. Wenn Sie mit einer papiernen Kurve quasi aufwachsen, handschriftlichen Anordnungen und manuellem Richten der Medikamente, dann ist es ein enormer Bruch, wenn plötzlich jemand sagt: ‚So, das machen wir jetzt mit einem passenden IT-System mit irgendeinem Roboter dahinter, der die Verteilung der Medikamente übernimmt.‘ Das verändert die Arbeitsrealität der Menschen in ihren Grundsätzen.
Wenn dieser Veränderungsprozess, den wir Menschen meistens nicht so furchtbar toll finden, aber durchgestanden ist, wird am Ende klar: ‚Wow, das ist jetzt wirklich viel einfacher.‘ Und das ist der Zeitpunkt, ab dem es beginnt, Spaß zu machen – wenn der Nutzen erlebbar und sichtbar ist. Aber der Weg dahin ist nicht einfach und hat erhebliche Hürden, über die das Team gemeinsam springen muss.
Können Sie ein paar Beispiele nennen, wie sich für Pflegekräfte im UKE die Arbeit verändert hat?
Nun, die ganze Dokumentation läuft anders … Bleiben wir einmal beim einfachen Medikamentierungsprozess. Wie war das früher? Der Arzt ordnete schriftlich Medikamente an und die erste Aufgabe der Pflegekraft bestand darin, dessen Handschrift zu entziffern. Das Medikament wurde in der Apotheke bestellt. Dort hieß es: Okay, hier steht Aspirin, das haben wir schächtelchenweise. Das kam auf Station, wo die Medikamente – meistens nachts – gestellt wurden, weil man meinte, die Nachtwache habe sowieso nichts zu tun. Was in der Tat ein gefährlicher Trugschluss war und ist.
Die Nachtwache hat also irgendwann zwischen ein Uhr und drei Uhr morgens für den Patienten Jörg Debatin das Aspirin aus der Verpackung in den Medikamentendispenser gedrückt. Dass dieser Prozess fehlerbehaftet ist, leuchtet unmittelbar ein. Er lässt sich aber ändern: Wenn der Arzt das Medikament nicht mehr handschriftlich, sondern digital verordnet. Dann sieht er gleichzeitig, ob es eine Interaktion gibt mit den drei anderen Medikamenten, die dieser Patient bereits nimmt, weil der Arzt, in dem Augenblick, in dem er diese Entscheidung trifft, visuell die möglichen Wechselwirkungen in Ampelform gespiegelt bekommt. Die Hinweise kann er sicherlich in manchen Fällen ignorieren, aber er hat dann einmal über sie nachgedacht. Danach geht die Bestellung automatisch zur Apotheke, wo ein Roboter sich die einzelnen Medikamente als Schüttware holt und direkt in Plastikbeutelchen mit dem codierten Patientennamen sortiert und auf Station schickt. So ist der Prozess für alle Beteiligten sicherer und qualitativ besser. Auch die Entscheidungsqualität ist höher. Und für die Pflegekraft bedeutet dies hoffentlich, dass sie mehr Zeit am Patientenbett verbringen kann.
So digitalisiert läuft die Medikamentengabe inzwischen im UKE ab?
Ja – und sicherlich nicht nur dort. Trotzdem: In Deutschland hat nur eine kleine Anzahl der Krankenhäuser die Prozesse modernisiert. Auch, wenn ich mich in der ambulanten Pflege oder in den Pflegeheimen umschaue, stelle ich fest: Da wird noch viel Zeit mit eigentlich unnötigen Dingen verbracht. Uns geht es darum, das sichtbar zu machen, und ein bisschen die Angst und die Hürden abzubauen, die die Implementierung neuartiger Systeme begleiten. Es gibt finanzielle Hürden, aber auch kulturelle Hürden. Die Angst vor Veränderung und davor, nicht genau zu wissen, worauf man sich einlässt. Es ist uns wichtig, eben diesen Nutzen anhand von Beispielen sichtbar zu machen.
Oft findet sich im Krankenhaus oder in der Altenpflege hier und da doch schon ein gewisser Grad an Digitalisierung. Aber man hat nicht immer den Eindruck, dass er Zeit spart. Manche beklagen, er mache viele Dinge nur komplizierter. Warum klappt es oft nicht so richtig?
Weil die Systeme noch nicht so weit sind und hier noch immer die Medienbrüche dominieren, die es komplizierter machen. In Deutschland haben wir jede Menge Insellösungen. Es gibt bei den IT-Lösungen noch nicht die Einheitlichkeit, die man von einem industrialisierten Land erwarten würde. Das liegt nicht an der bösen Politik, das liegt an der Struktur unseres Gesundheitswesens: Wir haben drei verschiedene Sektoren – ambulante Medizin, stationäre Medizin und Reha-Medizin. Eine solche Aufteilung ist international betrachtet sehr ungewöhnlich.
Unsere Aufgabe hier im Health Innovation Hub (hih) ist es, Möglichkeiten zu eruieren, die Digitalisierung als Brücke zwischen den drei Sektoren zu etablieren. Da landet man schnell bei der Frage der Interoperabilität. Die Systeme müssen miteinander kommunizieren: Das Hausarztsystem muss zusammen mit dem Facharztsystem funktionieren, und das Facharztsystem wiederum mit dem Krankenhaus-IT-System. Das heißt, die Daten müssen austauschbar sein. Dass dies funktioniert – dafür sind wir vom Gesundheitsministerium installiert worden. Unser Auftrag ist es, zu helfen, Medienbrüche zu vermeiden. […]
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Dreamteam – IT und Pflege
TXT Kirsten Gaede
Foto Natanael Melchior
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