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Hype-basierte Medizin: Blockchain und KI

Privatsphäre, Datensicherheit, Interoperabilität – all das versprechen Blockchain-Anwendungen in der Medizin. Brauchen wir nicht, sagt Lars Roemheld, Director of AI & Data des Health Innovation Hubs. Das Gesundheitssystem brauche Investitionen fernab des Hypes.

von Usetree

Das Thema Blockchain beschäftigt weite Teile der digitalen Gesellschaft, sogar das Gesundheitswesen zeigt Interesse. Führende Unternehmensberater lassen sich hinreißen zu irreführenden Aussagen wie „Blockchain ermöglicht Verbesserungen im Bereich innovative Patientenversorgung“, und selbst alteingesessene Akteure des Gesundheitswesens nennen Blockchain im gleichen Atemzug mit realen Anwendungen wie Telemedizin.

Dabei fehlt jede nutzenstiftende Anwendung von Blockchains im Gesundheitswesen. Es scheint bisher unwahrscheinlich, dass sich daran viel ändern wird, denn der eigentliche Kern von Blockchain ist trustless distributed consensus: ein System von sehr vielen quasi-anonymen Fremden ohne zentrale Koordination, die sich auf einen Datenstand einigen können. Die Technologie entspringt dem Wunsch, sowohl zentrale Koordination als auch Vertrauen vermeiden zu können. Glücklicherweise mangelt es im Gesundheitswesen aber weder an vertrauenswürdigen Akteuren noch an zentraler Koordination.

Denkanstoß „Hype-basierte Medizin“

Verfechter der Gesundheits-Blockchain argumentieren deshalb mit Themen wie Datenintegration, Interoperabilität verschiedener Systeme, Datensicherheit und Zugriffsrechten. Diese haben mit dem Kern der Blockchain-Technologien aber nichts zu tun – eine „private Blockchain“ ist einfach eine unnötig komplexe Datenbank. Mit herkömmlichen Datenbanksystemen lassen sich Anwendungsfälle wie Fälschungssicherheit, Zugriffsprotokolle und verteilte Speicherung längst umsetzen, zu einem Bruchteil der Kosten und Risiken. Und freilich lassen sich auch in normalen Datenbanksystemen notwendige und wichtige kryptografische Eigenschaften wie asymmetrische Verschlüsselung abbilden.

Bei Softwareentwicklern gibt es den augenzwinkernden Begriff von hype driven development, in Anlehnung an das bewährte aber anstrengende test driven development. Im Gesundheitswesen ist das Äquivalent, nennen wir es Hype-basierte Medizin, auch nicht hilfreicher. Datensicherheit, Zugriffsrechte, und Interoperabilität sind keine rein technischen Themen und lassen sich nicht einfach durch „Blockchain Technologie“ lösen, sondern sie erfordern teils mühsame konzeptionelle Arbeit, kontinuierliche Pflege und gesellschaftliche Entscheidungen. Damit dafür die richtige Investitionsbereitschaft entsteht, bedarf es kluger, auch rechtlicher, Rahmenbedingungen.

Da hilft der Traum von Blockchain-Lösungen wenig. Von den eigentlichen Fragen lenkt der Hype eher ab. Doch immerhin hat er Themen wie Verschlüsselung, Datenintegrität und digitale Identitäten gesellschaftsfähig gemacht. Das ist eine Chance, im Gesundheitswesen jetzt in richtige Lösungen, fernab des Hypes, zu investieren: beispielsweise in sicherere Arzt-Software, oder in die lang ersehnte Umsetzung der elektronischen Patientenakte als Plattform für geteilte Daten.

KI – auch nur ein Hype?

Eine spannende Gratwanderung entlang der Hype-basierten Medizin findet sich im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI): beispielsweise hat die britische Regierung kürzlich bekannt gegeben, umgerechnet 270 Millionen Euro in ein Gesundheits-KI-Labor zu investieren. Anders als bei Blockchain ist der Nutzen von KI im Gesundheitswesen recht offensichtlich und mit erster Evidenz untermauert. Weniger offensichtlich ist, ob die Erwartungen an eine „riesige Revolution“ allzu bald Realität werden, und ob ein „Labor“ dafür der beste Weg ist.

Wo öffentlichkeitswirksam „KI“ draufsteht, ist oft auch enormer Aufwand in Datenaufbereitung durch menschliche Intelligenz drin. Standardisierte, saubere Daten mit gesicherten medizinischen Befunden, idealerweise mit Zweitmeinung, sind nach wie vor Mangelware. In der Realität fehlen nutzbare Depots verlässlicher Forschungsdaten noch mehr als Spitzenforschung: die Förderung für „Smart Data“ des deutschen Gesundheitsministeriums kann hier ein Anfang sein. Solche Daten wären auch ohne KI wertvoll, zum Beispiel für Auswertungen der Versorgungsqualität oder zur Verbesserung der medizinischen Ausbildung.

Die bisherigen Forschungserfolge mit Gesundheitsdaten stimmen optimistisch, auch wenn sie vielleicht nicht „revolutionär“ für die Versorgung scheinen. In rasanter Geschwindigkeit werden beeindruckende Ergebnisse in bestimmten Nischen veröffentlicht und in Teilen auch bereits kommerzialisiert. So vermehren sich die Indizien, dass mit der Datenflut in intensivmedizinischen Stationen weitaus besser als bisher eine drastische Verschlechterung des Patientenzustands – beispielsweise durch Sepsis oder akutes Nierenversagen – vorhergesagt und in der Folge vermieden beziehungsweise erfolgreicher kontrolliert werden kann. Bildgebende Verfahren von Krebsdiagnostik bis Zahnmedizin können besser priorisiert, seltene Diagnosen unterstützt und Therapien personalisiert werden. Spracherkennung birgt Potentiale für Triage-Chatbots bis hin zur automatisierten Auswertung von Arztbriefen.

Outcome-orientierte Medizin

Die meisten dieser Themen befinden sich im Stadium fortgeschrittener Forschung. Was fehlt, um ihr Potential in die Patientenversorgung zu bringen, sind repräsentative Testdaten, die eine Nutzenabschätzung für die Regelversorgung zulassen. Ein Forschungsdatenzentrum wäre zukunftsweisend, um mit Einwilligung und Vertrauen der Patienten klinische Aussagen zu ermöglichen. Aber auch schon die Veröffentlichung synthetisiert-anonymer Daten aus den DatraV-Versorgungsdaten wäre ein Anfang. Überhaupt nicht Hype-basiert oder revolutionär, sondern so Outcome-orientiert wie die Medizin auch heute schon sein möchte.

Mittels transparenter Versorgungsdaten und spezialisierter KI-Lösungen wären drastische Verbesserungen in Qualität und Wirtschaftlichkeit des gesamten Gesundheitssystems möglich. Dringender als die nächste State-of-the-Art KI braucht es dafür aber Investitionen in Datenintegration, und -aufbereitung, Standards, und Zugriffsrechte – aber bitte nicht noch mehr Blockchains.

Lars Roemheld ist Director of AI & Data des Health Innovation Hubs des Bundesministeriums für Gesundheit.

Das Original erschien im Tagesspiegel Background “Digitalsierung & KI” am 22. August 2019

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