Datenschutz-Aufseher stufen das Milliardenprojekt Patientenakte für teils europarechtswidrig ein. Widersacher halten die Kritik für unsinnig – manche sprechen von Amtsmissbrauch.
Mit 73 Millionen Versicherten, 200.000 Ärzten und 105 Krankenkassen ist die digitale Patientenakte eines der größten Digitalprojekte Europas. Darin sollen Patienten all ihre Gesundheitsdaten etwa über das Smartphone sammeln und mit Ärzten teilen können, um Fehlmedikationen, Doppeluntersuchungen und Bürokratie zu vermeiden. Später sollen sie dank der Akte ihre Daten europaweit nutzen und mit der Forschung teilen können.
Ab Januar müssen alle gesetzlichen Krankenkassen eine solche Akte anbieten. Doch schon vor dem Start steht das Milliardenprojekt vor der Zerreißprobe. Eine Front aus Datenschutzbehörden um den Bundesdatenschutzbeauftragten Ulrich Kelber hält zentrale Vorgaben der Patientenakte für europarechtswidrig. Sie drohen mit aufsichtsrechtlichen Maßnahmen – und könnten im schlimmsten Fall das gesamte von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) initiierte Projekt stoppen.
Nun aber stellt sich ein Bündnis aus Politik und führenden Gesundheitsfunktionären hinter Spahn. Sie stützen sich auf ein Rechtsgutachten der Anwaltssozietät Redeker Sellner Dahs, das sich dezidiert mit den Kritikpunkten Kelbers auseinandersetzt und vom Health Innovation Hub (HIH) des Bundesgesundheitsministeriums in Auftrag gegeben worden war.
Das Gutachten, das Handelsblatt Inside vorliegt, kommt zu dem Ergebnis, dass die Regelungen zur Patientenakte weder gegen nationales noch europäisches Recht verstoßen. „Der Datenschutz muss absolute Priorität haben, deshalb ist auch das vorgelegte Rechtsgutachten so wichtig. Jetzt sollten sich Patienten und Ärzte den Nutzen einer digitalen Patientenakte klarmachen“, sagte Bundesärztekammer-Präsident Klaus Reinhardt Handelsblatt Inside. Dass er sich hinter die Akte stellt, ist bemerkenswert. Andere namhafte Vertreter der Ärzteschaft hatten Spahns Digitalvorhaben zuletzt scharf kritisiert.
„Ich habe selten ein juristisches Gutachten mit dieser Eindeutigkeit gelesen“, erklärt HIH-Leiter Jörg Debatin. Cornelius Böllhoff, einer der Autoren des Gutachtens, war über die Kritik der Datenschützer verwundert. Die Untersuchung habe gezeigt, dass der Gesetzgeber „die Patientenakte quasi mit Gürtel und Hosenträger mehrfach abgesichert“ habe. Vorwürfe werden nun lauter, die Kelber weniger eine rechtliche als eine politische Motivation für sein Vorgehen unterstellen.
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