Gesundheit 2025, Blog

Wählen in Zeiten der Pandemie: „It`s the Trust, stupid!“

Ein Kommentar von Daniel Dettling, Gründer des Instituts für Zukunftspolitik.

von hih

Diese Bundestagswahl ist bereits historisch. Zum ersten Mal wählt Deutschland mitten in einer weltweiten Pandemie. #wirgegencorona wurde zum nationalen Slogan eines Landes, das im Kampf gegen die größte Gesundheitsgefahr seit Bestehen der Republik zusammensteht. Wegen Corona verlor Donald Trump im letzten Jahr die Präsidentschaftswahl. In England erwischte es beinah Boris Johnson. Anfangs abgeschrieben wegen des Missmanagements seiner Regierung, wurde die eigene Corona-Erkrankung zur politischen Wiedergeburt des britischen Premiers. Der für Wochen führende Impf-Europameister wählt konservativ wie lange nicht.

Wahrnehmung und Wirklichkeit klaffen weit auseinander
Und Deutschland? Auch 18 Monate nach Ausbruch der Pandemie klaffen Wahrnehmung und Wirklichkeit weit auseinander. Die Pandemie deckte die vielen Schwachstellen auf: Mangelhaft ausgestattete Gesundheitsämter, keine Bevorratung mit Masken und Schutzkleidung, Fachkräftemangel im Pflegesektor und auf den Intensivstationen, zu niedrige Produktionskapazitäten, als endlich ein Impfstoff auch in Deutschland zur Verfügung stand und ein durchgehend unterdigitalisiertes Gesundheitssystem. In den Polit-Runden des „Triells“ und des folgenden „Vierkampfs“ spielte all das kaum eine Rolle. Stattdessen ging es um die Systemfrage. Unionskandidat Armin Laschet (CDU) lehnte die Einführung einer „Bürgerversicherung“ mit der Begründung ab, Länder mit einer „Einheitsversicherung“ wie England und Dänemark hätten eine schlechtere Gesundheitsversorgung als Deutschland. In internationalen Rankings und Studien schneiden die drei Länder sehr unterschiedlich ab. Je nach Indikator steht mal das eine Land besser (oder schlechter) da als das andere. Fakt ist: Dänemark hat soeben alle Corona-Regelungen abgeschafft und die Pandemie damit faktisch für beendet erklärt. Drei Faktoren sind für den Erfolg verantwortlich: Digitalisierung, Impfquote und Politikstil.

Digitalisierung, Impfquote und Politikstil
Das dänische Gesundheitssystem ist voll digitalisiert, Digital Health landesweit Standard, ebenso elektronische Patientenakte und Medikation, E-Rezepte und Online-Gesundheitsportal. Aufgrund des vernetzten Gesundheitssystems wurden die vulnerablen Gruppen schnell erreicht und geimpft. Die Impfquote in Dänemark ist mit 80 Prozent die zweithöchste nach Island. Impfmuffel Deutschland liegt mit rund 62 Prozent im Mittelfeld und kommt aktuell kaum vom Fleck. Drittens der Stil: Die dänische Ministerpräsidentin setzte als eine der ersten Regierungschefinnen auf einen harten Lockdown, vermied dabei jedoch Einschränkungen wie Ausgangssperren oder -beschränkungen, die der Bevölkerung schwer zu vermitteln gewesen wären. Deutschland diskutierte dagegen im April 2020, ob man auf einer Parkbank sitzend ein Buch lesen darf und sperrte Kinderspielplätze ab. Statt wochenlang über AstraZeneca zu diskutieren, der längst das Vertrauen der Bevölkerung verloren hatte, verzichtete Dänemark umgehend auf den Impfstoff.

Demokratie als Sozialtechnologie und Resilienz
Man kann mit Bürgern und Patienten wie mit kleinen Kindern oder auf Augenhöhe reden und sie an der Problemlösung beteiligen. Taiwan ist beides: eine junge Demokratie und viruserfahren. Seine Demokratie beschreibt die Digitalministerin Audrey Tang als „Sozialtechnologie“ und „Resilienz“. Demokratie wird permanent neu entwickelt und erneuert. Das Vertrauen in das staatliche Krisenmanagement ist konstant hoch, weil offen und transparent kommuniziert wird. Taiwan setzt auf drei Prinzipien: „Fast, fair and fun“. Am 15. September 2021 wurden fünf neue Corona-Fälle gemeldet, die 7-Tage-Inzidenz mit 0,2 angegeben.

Am Ende entscheidet das Vertrauen. Neuen Umfragen zufolge ist das Vertrauen der Deutschen in ihr Gesundheitssystem in der Pandemie gewachsen, nicht jedoch das in die Politik. Das Wahlergebnis am 26. September ist dafür die Quittung.

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