Smart Praxis, Gesundheit 2025

„Wir müssen stärker in Versorgungsverbünden denken.“

Ein Gespräch mit Maria Klein-Schmeink, MdB, gesundheitspolitische Sprecherin Bündnis90/ Die Grünen, über Versäumnisse, Ausgangspunkte und Ziele.

von hih

Was ist für Sie das zentrale Learning der Corona-Pandemie für unser Gesundheits- und Pflegewesen?Das zentrale Learning ist für mich die Wertschätzung der Daseinsvorsorge und die Bedeutung der Vorsorge. Beides müssen wir deutlich stärker ausbauen. Daneben müssen wir die Beschäftigten stärken und ihre Arbeit attraktiver machen. Die Belastung ist bereits heute sehr hoch, die Nachfrage nach gut ausgebildeten Fachkräften wird mit einer älter werdenden Bevölkerung wachsen. Die Pandemie hat gezeigt, wie sehr das System auf Kante genäht ist.

Was haben Sie in dieser Legislatur vermisst?
Unbestritten hat es bei der Digitalisierung enorme Fortschritte gegeben, auch weil wir vorher sehr weit abgeschlagen waren. Ich vermisse eine nachhaltige Strategie. Es reicht nicht, alle Akteure ans Netz zu bekommen, hinzu kommen muss die Beteiligung der Patient:innen und der Nutzer:innen. Mit dem Potential der Forschungsdaten müssen wir uns stärker beschäftigen.

Wie lässt sich die Zusammenarbeit zwischen den Sektoren verbessern?
Wir müssen stärker in Versorgungsverbünden denken. Die Versorgung muss von den Patient:innen her gedacht, gestaltet und koordiniert werden. Die heutigen Sektorengrenzen verhindern das und erzeugen erhebliche Sekundärschäden. Die Reform der Notfallversorgung hätte hier eine Blaupause sein können. In der nächsten Wahlperiode brauchen wir einen neuen Aufbruch.

Wie schätzen Sie das Potenzial der Digitalisierung ein? Was bringt hier das neue Digitale Versorgung und Pflege-Modernisierungsgesetz (DVPMG)?
Das Potenzial, die Versorgung durch Digitalisierung zu unterstützen und auf neue Füße zu stellen, ist groß. Die elektronische Patientenakte stellt für jene Patient:innen, die multimorbide sind, keinen Fortschritt dar, weil sie erst 2026 richtig funktionieren wird, wenn wirklich alle Behandelnden Zugriff haben. 2026 werden wir aber wahrscheinlich mit anderen Patient:innen- und Journey-bezogenen Systemen wie der Cloud arbeiten.

Die Verfügbarkeit medizinischer Daten, insbesondere im zeitlichen Verlauf, ist für die Weiterentwicklung der Medizin von herausragender Bedeutung. Wie wollen Sie die Verfügbarkeit derartiger Daten für die Forschung verbessern?
Uns geht es um eine dezentrale Forschungsdatenstruktur mit einer möglichst frühen Beteiligung der Patient:innen und entsprechenden Instrumenten. Entscheidend ist die Qualität der Daten. Die Patient:innen können für einzelne Bereiche über Verfügungen bestimmen, welche Daten sie freiwillig freigeben. Nur so erreichen wir die Akzeptanz der Bürger:innen: Wir müssen den maximalen Schutz möglich machen, auch wenn es keinen 100%igen Schutz geben kann. Notwendig ist ein Bund-Länder-Vertrag zur Harmonisierung der Datenschutzgesetze und ihrer Interpretation.

Braucht es zur Absicherung der Investitionsfähigkeit in digitale Infrastruktur eine Fortführung bzw. Ausweitung des KHZG?
Die vier Milliarden Euro können nur der Anfang sein. Die Kosten für Digitalisierung machen einen erheblichen Teil der Investitionen aus. Der Bund wird sich auf Dauer zu mindestens 50 Prozent an den Investitionen beteiligen müssen, muss dafür aber mehr Mitsprache bei der Krankenhausplanung erhalten.

Der DVG-Fast Track wurde konzipiert, um digitale Innovationen schneller in die Regelversorgung zu überführen. Wie bewerten Sie den Fast Track? Sollte er abgeschafft oder gar auf andere Anwendungsbereiche innerhalb der Medizin ausgeweitet werden?
Die Nutzenbewertung des Fast Track von bis zu zwei Jahren bei laufender Erstattung ist zu lang und übersteigt fast die Lebensdauer einer Software. Hier muss ein ausgewogeneres Verhältnis zwischen realistisch machbarer Nutzenbewertung und Erstattungsfähigkeit gefunden werden. Die Höhe der Erstattung sollte im Verhältnis zu bestehenden Leistungen stehen. Auch der Einbezug der Leistungserbringer:innen ist bei den meisten anerkannten DIGAs unklar. Wir wollen den Fast Track in Zukunft neu in Richtung Versorgungs- und Behandlungspfade aufstellen und schauen, wie auch Apps mit höherer Risikoklasse einen Weg in die Regelversorgung finden können.

 

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